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Geopolitik: Die Grenzen der Globalisierung

von | 26.04.2022 | Weltweit

Explodierende Energiepreise, Chipmangel, unterbrochene Lieferketten – die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben wirtschaftliche Risiken offenbart, die bislang unterschätzt wurden. In einer globalisierten Welt sollten Unternehmen über ihren Geschäftszweck hinaus planen und politische Entwicklungen in ihre Planung einbeziehen. In vielen deutschen Betrieben war man für geopolitische Fragen bisher nicht ausreichend sensibel. Dabei gilt in den USA und in China schon seit langem: Industriepolitik ist Technologiepolitik ist Geopolitik.

Europa blieb lange von größeren Krisen verschont. Als Zulieferer im Windschatten internationaler Konzerne wähnten sich kleinere Unternehmen sicher, und die deutsche Wirtschaft war ja auch einer der Gewinner in der globalisierten Welt. Für die Zukunft kann es entscheidend sein, dass sich gerade deutsche, insbesondere auch pfälzische Unternehmen mit ihrer hohen Exportquote proaktiv politischen Fragen stellen, Risikoanalysen aufstellen und aktives Risikomanagement betreiben. Nur so lassen sich zukunftsfähige Konzepte entwickeln – und vielleicht außerdem einige der drängendsten Herausforderungen in Sachen Energie, Klima und Umwelt lösen: von der Geopolitik hin zu einer widerstandsfähigen Geoökonomie.  

Acht Lkw hat Volker Nuss im Mai 2021 bestellt. Der Chef der gleichnamigen Spedition in Wörth bekam einen davon geliefert, auf sieben wartet er immer noch. Über 90 Fahrzeuge hat die Spedition Nuss auf der Straße, 65 sind Eigentum des Logistikunternehmens. Früher hat der Spediteur die Lkw bestellt und innerhalb von zwei, drei Monaten standen sie auf seinem Hof. Das bedeutete Planungssicherheit, da er alle fünf Jahre und nach 500.000 gefahrenen Kilometern durchwechselt.

Nuss ist seit Jahrzehnten im Geschäft, aber kann sich nicht an ähnliche Lieferengpässe erinnern. „Wenn ich jetzt Fahrzeuge brauche, kann ich sie nur mieten oder privat kaufen, aber der Markt ist leergefegt.“ Wenn Nuss mieten muss, ist das die teurere Variante. Und: Die höheren Kosten der Spedition schlagen früher oder später auf die Preise im Supermarkt durch. Der gegenwärtig weltweite Lieferengpass an Halbleiter-Komponenten hat neben dem Fahrzeugsektor Auswirkungen auf viele Lieferketten und damit auf Produzenten wie Endkunden.

Die stark steigenden Energiekosten seit Beginn des Ukraine-Krieges verschärfen und verbreitern das Problem erheblich. Das Beispiel zeigt, dass es in einer globalisierten Welt für die Pfalz durchaus einen Unterschied machen kann, ob in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt.

Chinas offensive Geopolitik

„Die Weltordnung und damit die Weltwirtschaft werden sich in den kommenden Jahren stark verändern“, ist sich Volker Scherer, Außenwirtschaftsexperte der IHK Pfalz, sicher. „Die Vormachtstellung des Blocks USA/Europa verschiebt sich in Richtung China/Asien, der sowohl flächen- als auch einwohnermäßig bedeutender ist. Außerdem betreibt China seit Jahren eine offensive und geschickte Geopolitik, etwa die Umsetzung der neuen Seidenstraße mit knallharten wirtschaftlichen Interessen dahinter.“

Die Staaten, die mit China Verträge unterzeichnen, lassen sich auf ein bilaterales Netzwerk ein, in dessen Zentrum China steht, also keinesfalls auf Augenhöhe. Zudem hat das Projekt eine technologische Dimension. Stichwort „Made in China 2025“: eine weitere industriepolitische Strategie der chinesischen Führung, technologisch in den nächsten Jahren zum Weltmarktführer zu werden. „Auch das chinesische Engagement in Afrika ist ein Beispiel, denn China hat Afrika viel früher als Europa als wichtigen Zukunftskontinent gesehen, unter anderem aus Rohstoffgründen.“

Gesetze sichern Kontrolle

Außerdem: Die Großmächte verankern verstärkt geostrategische Interessen in ihren Außenhandelsgesetzen, etwa im Ausfuhrkontrollrecht der USA, das auch einen weltweiten Anspruch hat. „Etwas ähnliches hat China auf den Weg gebracht“, so der Außenhandelsexperte. „Es ist zu befürchten, dass Gesetze über kurz oder lang anderen Ländern übergestülpt werden sollen. Ein geopolitischer Schritt, um sich die Kontrolle zu sichern.“

Heruntergebrochen auf die heimische Pfälzer Wirtschaft ergeben sich laut IHK-Pfalz-Experte Scherer zahlreiche Herausforderungen für die kommenden Jahre: „Gerade weil wir mit knapp 67 Prozent extrem exportstark sind, muss gewährleistet sein, dass wir die offenen Märkte auch weiterhin wirtschaftlich nutzen können. Gleichzeitig müssen wir im Vergleich zu früher vorsorgen, damit geopolitische Neuordnungen nicht zu Rissen in unseren sensiblen Lieferketten führen oder uns Energieknappheit ausbremst.“

Diversifizierung des Risikos

Als Beispiel führt Scherer die Chip-Produktion Taiwans an, die den Inselstaat zu einem attraktiven Partner, aber auch zum Ziel von Begehrlichkeiten macht. Für mehr Unabhängigkeit und zum Abfedern von Krisen hat die EU jetzt den über 40 Milliarden Euro schweren „Chips Act“ für eine europäische Chipfertigung auf den Weg gebracht. Gut gemeint, allerdings sehr spät. Das Credo für die Zukunft der pfälzischen Wirtschaft müsse deshalb lauten: Diversifizierung des Risikos, so Scherer. Große wie kleine Unternehmen müssten künftig Zuliefer- wie Absatzmärkte stark diversifizieren. „Wir müssen bei der Lieferanten- und auch der Abnehmerstruktur viel breiter aufgestellt sein, das heißt konkret natürlich auch mehr Lagerhaltung für mehr Unabhängigkeit.“ Außerdem müssten sich Pfälzer Betriebe darauf einstellen, dass Energie noch knapper wird, als wir es jetzt schon erleben – und verstärkt auf regenerative Energiequellen setzen.

Ein weiterer Weg für mehr Handlungsspielraum sind starke Partner außerhalb der Blöcke: Die EU sucht über Kooperationen derzeit die Nähe zu Indien, um einen Gegenpol zu China bilden. Im Energiebereich setzt die Politik vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs unter anderem auf arabische Partner. „In Zukunft müssen wir Sorge tragen, dass die EU als ernstzunehmender internationaler Mitspieler wahrgenommen wird, die Richtlinien mitbestimmt und sich nicht zwischen den Blöcken USA, China und Russland zerreibt. Diese drei sollten auf keinen Fall die EU-Zukunftsfragen mitentscheiden.“

Was ist Geopolitik?

 

„Wissenschaftliches Bemühen, bestimmte Aspekte der Geografie, Geschichte, Bevölkerungs- und Staatwissenschaft zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Raum und Politik zu nutzen“, so erklärt die Bundeszentrale für politische Bildung den Begriff. Praktisch gesehen hat er nach Ende des Kalten Krieges für annähernd zwei Jahrzehnte wenig Interesse geweckt. Das ist vorbei: Die Annexion der Krim, die Besetzung der Ostukraine durch russische Kräfte, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Aktivitäten Chinas im südchinesischen Meer und in Afrika, der Konflikt in Syrien und Jemen, sowie die protektionistische Politik des vorherigen US-Präsidenten sind prominente Beispiele dafür, wie aktuell und risikobehaftet Geopolitik für eine globalisierte Wirtschaft ist.

 

Bild: AdobeStock_425735285

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Marion Raschka
Marion Raschka

Freie Wirtschafts-Journalistin für IHK Interaktiv und das Wirtschaftsmagazin Pfalz.

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