
Globalisierung neu denken
Globalisierung verändert sich grundlegend, darüber sind sich Experten spätestens seit Trumps protektionistischer Handelspolitik oder dem Brexit einig. Nun hat die Corona-Krise den Veränderungsprozess stark beschleunigt und auch der Ukraine-Krieg zeigt Grenzen der Globalisierung, beispielsweise in den Lieferketten auf. Ein Impulspapier des DIHK gibt Anregungen, was aus Sicht der deutschen Wirtschaft zu tun ist.
Globalisierung galt und gilt als erstrebenswert, als Chance, gar als Heilsbringer. Risiken und negative Auswirkungen wurden wenn überhaupt nur am Rande diskutiert. Gerade die deutsche Wirtschaft ist auf offene internationale Märkte angewiesen: hier hängt jeder vierte Arbeitsplatz am Export, in der Industrie jeder zweite. Mit einem jährlichen volkswirtschaftlichen Einkommen durch den Außenhandelsbilanzüberschuss in Höhe von 66 Milliarden US-Dollar ist Deutschland gleichzeitig einer der größten Profiteure des Welthandels. Allein in der Pfalz gehen rund 66 Prozent der produzierten Waren direkt ins Ausland. Hier hängt die Hälfte der Arbeitsplätze am Export – und damit auch Beschäftigung, Bildung und Wohlstand.
Doch schon lange war der Welthandel nur unterdurchschnittlich gewachsen. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 wird unter Begriffen wie „Slowbalization“ oder „Peak Globalization“ das Ende des Wachstums des Weltgüterhandels als Weltwirtschaftstreiber diskutiert. Spätestens mit der offen ausgesprochenen protektionistischen Politik Donald Trumps zeigte sich, wie sich sicher geglaubte Grundlagen der Globalisierung quasi über Nacht verändern konnten. Der Brexit war ein weiterer Einschnitt in die internationale Handelspolitik. Und dann kam Corona: Grenzen wurden geschlossen, Handelsketten unterbrochen. Lieferengpässe führten zu teils überzogenen Hamsterkäufen der Bevölkerung. Die Krise der Globalisierung war letztlich beim Verbraucher angekommen. Sie war beim Arbeitnehmer angekommen, Jobs waren nicht mehr sicher, ganze Branchen wie der Tourismus oder die Unterhaltungsindustrie von heute auf morgen still gelegt. Viele Unternehmen hatten mit Finanzierungs- und Liquiditätsengpässen zu kämpfen oder standen gar kurz vor der Insolvenz.
Auch viele Monate nach der ersten Störung der Lieferketten durch Corona waren die Mechanismen der Logistik noch nicht wieder im Gleichgewicht. Containerschiffe stauten sich an zentralen Umschlageplätzen wie den USA. Container waren nicht in ausreichender Zahl dort wo sie benötigt wurden, sondern stapelten sich an anderen Plätzen. Es wurde drastisch klar: Globalisierung setzt eine funktionierende Logistik voraus – auch diese wird in Zukunft besser zu sichern sein. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Situation zusätzlich und führt aktuell zu Sorgen um die Energieversorgung. Preissteigerungen sind die Folge, Energieengpässe werden befürchtet und wieder sind Lieferketten kollabiert und ganze Märkte weggebrochen.
Die Entwicklungen bedeuten laut DIHK (noch) keine Kehrtwende der Globalisierung. Jedoch wirkt sie strukturell als Beschleuniger von erwartbaren Entwicklungen. Als Beispiel sei das Decoupling genannt, also die wirtschaftlichen Entkopplung der USA und Chinas. Die Fragilität von Wertschöpfungsketten ist insbesondere im High-Tech Bereich (z.B. Telekommunikation, einige Dual-Use-Güter und Weltraum) akut.
In seinem Impulspapier regt der DIHK zur Diskussion an, wie sich die deutsche Wirtschaft in der aktuellen Lage neu aufstellen könnte. Dazu haben die DIHK-Experten sieben Punkte herausgearbeitet:
1. Protektionismus entgegentreten
Protektionismus ist kein Ersatz für Krisenvorsorge. Eine Verpflichtung der G20-Länder, keine neuen Zölle einzuführen, könnte das Schlimmste verhindern. Eine WTO-konforme Lagerhaltung, die auf europäischer Ebene koordiniert wird, wäre Exportbeschränkungen vorzuziehen. Nötig ist daher ein ehrgeiziger EU-Impuls für die WTO-Modernisierung, die Stärkung staatlicher Transparenzverpflichtungen zu Subventionen sowie eine breite Koalition zum Erhalt der Streitschlichtung.
2. Offenheit für Investitionen sicherstellen
Der Kapitalbedarf der Unternehmen schnellt deutlich in die Höhe – und lässt sich ganz sicher nicht auf Dauer allein durch Zuschüsse oder staatliche Kredite decken. Vielmehr wird für die Betriebe in Zukunft die Zufuhr internationalen Kapitals als Finanzierungs- und Investitionsquelle eine noch größere Rolle spielen müssen. Eine zu starke Regulierung bei der Zufuhr ausländischen Kapitals, etwa bei der Novelle von Außenwirtschaftsgesetz/-verordnung, beschränkt Wachstums- und Beschäftigungschancen unserer inländischen Wirtschaftsstandorte.
3. Grenzüberschreitenden Austausch sicherstellen
Insgesamt müssen die Staaten, vor allem innerhalb der EU, zukünftig mehr kooperieren, um die Aufrechterhaltung des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs auch in Krisenzeiten zu gewährleisten. Die Aufrechterhaltung von Transportinfrastruktur, -routen, und -anbietern, insbesondere in der Luftfahrt und just-in-time Bereichen, ist von zentraler Bedeutung für die deutschen Unternehmen und sollte priorisiert werden.
4. Diversifizieren statt Reshoring
Der Staat sollte grundsätzlich keine Wertschöpfungsketten regulieren, bei Eingriffen zurückhaltend vorgehen, regulatorische Belastungen für Lieferketten vermeiden und offene Drittmärkte sicherstellen. Ineffiziente „Rückbesinnungen“ auf nationale Produktionen und Lokalisierungsverpflichtungen, auch Buy European, sind abzulehnen. Reshoring kann die Auswirkungen externer Schocks reduzieren, könnte aber vielfach zu Preissteigerungen führen, die die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beinträchtigen.
5. Mittelstand mitdenken, Wettbewerb erhalten
Gerade der internationalisierte Mittelstand und global agierende Unternehmen dürfen nicht zum Verlierer der Krise werden. Auch Startups sind zunehmend zu einem entscheidenden Faktor der Innovationskraft Deutschlands geworden und sollten daher auch angemessene Unterstützung erfahren.
6. Zollbürokratie entrümpeln
Der grenzüberschreitende Handel scheitert in Krisen auch an nicht mehr zeitgemäßen bürokratischen Hürden, etwa analogen Zoll-Dokumentationspflichten. Temporäre Erleichterungen, die auf digitalisierte Zollprozesse wie etwa Video-Zollinspektionen und digitale Unterschriften setzen, sollten rasch vorangetrieben und langfristig verankert werden.
7. Europäische Resilienz stärken
Europa sollte seine eigene Wettbewerbsfähigkeit und Standortqualität stärken, anstatt auf Autarkie zu setzen. Anreize, um Lieferketten diversifiziert, robust und resilient zu machen, wirken eher als Zwänge.
DIHK-Impulspapier zum Thema Globalisierung:
www.dihk.de/resource/blob/dihk-impulspapier-deglobalisierung-data.pdf
Bild: Adobe-Stock-104621735
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Alexander Kessler
IHK Pfalz
Redakteur für Print, Web und Social Media im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der IHK Pfalz.
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