Krisenheld versus Krisenteam

von | 19.11.2020 | Arbeitswelten

Mit ihrem Team spürt sie Megatrends in der Arbeitswelt auf: Professorin Jutta Rump, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft  forscht seit längerem zu Veränderungen in der Personalpolitik. Der Corona-Effekt verstärkt die virtuelle Zusammenarbeit, die mobile Arbeit, agile Organisationsformen sowie die Digitalisierung der Prozesse. Dazu gehört auch das „Dilemma (in) der Führung“, wie Rump in Zusammenarbeit mit Julia Borggräfe vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) herausgefunden hat.

Bereits im März dieses Jahres ergab eine Umfrage des IBE, dass Führungskräfte in der Corona-Krise eine wichtige Rolle spielen. 97 Prozent der Befragten messen ihnen eine hohe oder sehr hohe Bedeutung zu. Dabei wird insbesondere Folgendes als sinnvoll angesehen:

 

  • umsichtiges Agieren und nicht Überreagieren, ohne die Perspektive aus dem Auge zu verlieren
  • Offenheit für kreative Wege zur Bewältigung der Krise („geht nicht, gibt es nicht“)
  • Zurückhaltung bei Aktivitäten, die nicht unbedingt erforderlich sind
  • differenziertes Führungsverhalten bei unterschiedlichen Mitarbeitergruppen (zum Beispiel Beschäftigte mit Betreuungsaufgaben, Angehörige von Risikogruppen)
Besonnen, offen und empathisch kommunizieren

Laut IBE zeigte sich, dass Management- und Führungsqualitäten notwendiger sind denn je: Besonnen durch die Krise navigieren und gleichzeitig eine hohe Empathie für die Sorgen der Beschäftigten haben, kombiniert mit einer offenen, umfassenden und ehrlichen Information und Kommunikation. Dadurch verändere die Corona-Krise die Sichtweise: Nicht die intrapersonelle Sicht, wonach eine Führungskraft alles zugleich beherrschen sollte, führt zum Ziel, sondern es braucht vielmehr den interpersonellen Ansatz: Wenn eine einzelne Person es nicht schafft beziehungsweise nicht schaffen kann, dann sollten die Kompetenzen im Führungsteam vorhanden sein.

Für partnerschaftlichen Führungsstil

In Krisenzeiten rücken Menschen zusammen, nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch Mitarbeiter und Führungskräfte. Das Gefühl von „Wir sitzen alle im selben Boot“ und der gemeinsamen Arbeit für das Unternehmen wurde lange nicht mehr  deutlich wie in diesen Zeiten. Dies kann langfristig in einen neuen partnerschaftlichen Führungsstil münden, bei dem die Führungskraft gemeinsam mit den Mitarbeitern das Unternehmen erfolgreich gestaltet.

Frau Professor Rump, welche Herausforderungen stellt die aktuelle Situation an die Personalpolitik in Unternehmen?

„Die generelle Frage wird sein, wie gehen die Betriebe damit um, wenn sie mit drei knappen Gütern zurechtkommen müssen. Wie gestaltet sich die Strategie mit limitierenden Faktoren? Diese Faktoren sind erstens weniger Zeit, weil Corona wie ein Brandbeschleuniger wirkt, zweitens weniger Geld, etwa durch Verschuldung oder Umsatzeinbußen, was zu Verteilungskämpfen führt, und drittens qualifiziertes Personal. Beim Personal verursacht die Krise sogar ein Spannungsfeld: Auf der einen Seite fehlen Fachkräfte, auf der anderen Seite gehen durch die beschleunigte Digitalisierung und die angespannte wirtschaftliche Situation Arbeitsplätze verloren. Diese Ausgangslage tangiert die Fragen nach Führung, von Personalbestand und -bedarf sowie Kommunikationspolitik.“

Wie verändert die momentane Situation das Führungsverhalten?

„Führungskräfte müssen erstens schneller entscheiden und Entscheidungen schneller vorantreiben. Sie müssen zweitens trotz knapper Zeit mit einer stark gesteigerten Komplexität umgehen. Drittens sind die finanziellen Spielräume kleiner, die Ressourcen weniger. Daraus ergibt sich die entscheidende Frage: Kann eine Führungskraft das alleine bewältigen? Bedarf es nicht auch hier der kollektiven Intelligenz eines Führungsteams? Das heißt, ich muss mir als Führungskraft Mitstreiter suchen. Gleichzeitig beobachten wir in Krisen das Gegenteil, nämlich die Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, den Ruf nach dem starken Mann, der starken Frau, entgegen der herrschenden Logik in Krisensituationen.“

Funktionieren Führungsteams auch in mittleren und kleinen Unternehmen?

„Wenn das Unternehmen in der Krise ordentlich durchgeschüttelt wird, sollte sich der Chef Mitarbeiter suchen, mit denen er oder sie Krisenmanagement betreiben kann. Das heißt, ein Krisenteam am besten nicht nach dem Organigramm, sondern aufgrund von Fähigkeiten aufzubauen, das sich regelmäßig trifft und offen diskutiert. Übrigens auch nach der Krise, wenn sich eine ,neue‘ Normalität einstellt.“

Welches Verhalten beobachten Sie von Forscherseite in Bezug auf den Personalbestand und -bedarf?

„Vor der Corona-Krise haben wir den Arbeitsmarkt als Arbeitnehmermarkt bezeichnet. Er war gekennzeichnet  einen Fachkräfte- und Nachwuchsmangel  vielen Branchen und Berufen. Im Moment – also in der Krise – würden wir von einem Arbeitgebermarkt sprechen. Nach der Corona-Krise ist davon auszugehen, dass sich eine widersprüchliche Situation auf dem Arbeitsmarkt zeigen wird. Auf der einen Seite wird der Demografie-Effekt zurückkehren, es werden weniger Fach- und Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen. Bei diese können Engpässe entstehen. Sie werde zudem durch den Trend zur Wissens- und Innovationsgesellschaft sowie zur digitalen Transformation intensiviert. Auf der anderen Seite ist mit zunehmenden Substitutionseffekten angesichts der Digitalisierung zu rechnen. Eine Reihe von Tätigkeiten wird durch diese technologischen Entwicklungen ersetzt.“

Welche Anpassungen ergeben sich in Zeiten diesen in der Kommunikationsstrategie von Unternehmen?

„In einer so angespannten Ausnahmesituation, die eventuell unsere neue Normalität wird, brauchen wir eine extrem offene, ehrliche und regelmäßige Kommunikation. Ganz praktisch gesprochen muss mindestens wöchentlich ein Bericht – ganz gleich ob schriftlich, virtuell oder mündlich – erfolgen: Was ist passiert und was erwartet uns in den kommenden ein, zwei Wochen? Wir befinden uns in einem zutiefst verunsichernden fundamentalen Veränderungsprozess, was zu elementaren Ängsten führt. Deshalb brauchen die Menschen Orientierungspunkte, sie brauchen einen offenen und optimistischen Austausch.“

Plädiert für Krisen- und Führungsteams: Jutta Rump, Gründerin des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen.

 

Foto: IBE Ludwigshafen

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Marion Raschka
Marion Raschka

IHK Pfalz

Freie Wirtschafts-Journalistin für IHK Interaktiv und das Wirtschaftsmagazin Pfalz.

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