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Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen von New Work

von | 28.03.2023 | Arbeitswelten

Die neue Arbeitswelt ist geprägt durch Agilität, Selbstorganisation und örtliche und zeitliche Flexibilisierungswünsche der Mitarbeitenden. Für Arbeitgeber bedeutet dies permanent neue, insbesondere auch rechtliche Herausforderungen. 

Martin Koller-van Delden ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner von MELCHERS Rechtsanwälte am Standort Heidelberg. Seit 20 Jahren berät er Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts – von der Vertragsgestaltung bis hin zu umfassenden Restrukturierungen.

WELCHE ROLLE spielt das Thema New Work in Ihrer Beratungspraxis?

„Eine große! Der Begriff beschreibt ja sehr treffend, dass die Arbeitswelt derzeit einem starken Wandel unterliegt, den man auch positiv als einen Aufbruch in eine neue Zeit mit großen Chancen beschreiben kann. Eine gute rechtliche Gestaltung ist nicht nur sehr hilfreich, sondern eine Voraussetzung dafür, die Chancen von New Work zu nutzen und die Risiken zu beherrschen.“

Wo liegen die SCHWERPUNKTE DES WANDELS bei New Work?

„Ganz klar bei der örtlichen und der zeitlichen Flexibilisierung der Arbeitswelt. Bewerber erwarten, dass sie zumindest einen Teil der Woche mobil von zu Hause aus arbeiten können, teils auch über die nationalen Grenzen hinweg. Auch zeitlich wollen sie flexibel sein, zum Beispiel, um sich während des Arbeitstags bestimmte Freizeitaktivitäten zu ermöglichen. Bei einer sinnvollen Umsetzung ist das Resultat eine größere Mitarbeiterzufriedenheit und eine höhere Produktivität.“

Was bedeutet das in Bezug auf die ARBEITSZEIT?

„Die sinnvolle rechtliche Gestaltung der Arbeitszeit ist tatsächlich eine große Herausforderung. Bei einer ausgewogenen arbeitsvertraglichen Gestaltung ist auch der Arbeitgeber bei New Work auf der Gewinnerseite: Der Arbeitnehmer bekommt nicht nur Flexibilität, sondern der Arbeitgeber kann diese auch in einem sinnvollen Maße einfordern. Bei der Vertragsgestaltung ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass bei allem Bedarf an Flexibilität das antiquierte Arbeitszeitgesetz sowie die Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung respektiert werden. Außerdem muss eine stillschweigende und unter Umständen teure Duldung von Überstunden durch gute vertragliche Gestaltung vermieden werden. Der Arbeitgeber muss hier die Arbeitnehmer mit in die Verantwortung nehmen, um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein. Auch bei der Gestaltung der örtlichen Flexibilität ist vieles zu bedenken.“

Was ist bei der GESTALTUNG VON MOBILER ARBEIT zu regeln?

Bei der Vertragsgestaltung ist zunächst zu unterscheiden: Soll der Arbeitnehmer verpflichtend von zu Hause tätig werden, auf einem gemäß den Maßgaben des Arbeitgebers eingerichteten Arbeitsplatz? Dann handelt es sich um Telearbeit, mit der Folge, dass der häusliche Arbeitsplatz vom Arbeitgeber auf seine Kosten eingerichtet und unterhalten werden muss und der Heimarbeitsplatz auch den Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung genügen muss. Oder soll der Arbeitnehmer – was meistens der Fall ist – nur die Möglichkeit haben, von zu Hause aus mobil zu arbeiten, während es ihm offensteht, auch im Betrieb tätig zu werden, eventuell am ,Shared Desk‘? Hier sind die arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen geringer. Weiter sollte geregelt sein, unter welchen Maßgaben der Arbeitgeber etwa zur Sicherstellung und Überprüfung der Einhaltung des Datenschutzes Zugangsrechte zur Wohnung des Arbeitnehmers hat. Zum Datenschutz und zur Vertraulichkeit sollten technische Maßnahmen ergriffen werden, z. B. Sichtschutzfolien am Laptop, Sperrung von USB-Anschlüssen, 2-Faktor-Authentifizierung, ggf. VPN-Tunnel. Auch sollte man vertragliche Regelungen treffen, z. B. dass dienstliche Unterlagen verschlossen verwahrt werden müssen und dass sicherzustellen ist, dass ein Arbeitsplatz ohne Einsicht von Dritten besteht und dritte Personen keine dienstlichen Telefonate mithören.“

Muss ein NEUER ARBEITSVERTRAG geschlossen werden, wenn während des laufenden Arbeitsverhältnisses New Work eingeführt wird?

„Das ist rechtlich nicht erforderlich. Allerdings ist eine schriftliche Ergänzungsvereinbarung dringend zu empfehlen, denn für beide Seiten sollten die für sie jeweils wichtigen Regelungen verbindlich sein. So wie z. B. für den Arbeitnehmer wichtig ist, dass er eine verlässliche zeitliche oder örtliche Autonomie hat, ist es für den Arbeitgeber umgekehrt wichtig, dass eine verlässliche Erreichbarkeit gegeben ist.“

Was gilt in Unternehmen mit BETRIEBSRAT?

„Der Betriebsrat hat grundsätzlich kein Mitbestimmungsrecht bei der Entscheidung, ob mobile Arbeit eingeführt wird oder nicht. Allerdings bestehen mannigfaltige erzwingbare Mitbestimmungsrechte bei der inhaltlichen Ausgestaltung, zum Beispiel bei der Regelung der Lage und Flexibilisierung der Arbeitszeit. Der Betriebsrat ist bei der Gestaltung der Arbeitsplätze und bei der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen. Er hat des Weiteren ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung jeder Art von IT-Hardware und/oder Software. Nach dem neuen § 87 Abs. 1 Nr. 14 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit. Besteht also ein Betriebsrat, ist er bei Einführung von New Work zwingend zu beteiligen. Je nach Fall kann die Beteiligung im Rahmen der Anpassung bereits bestehender Betriebsvereinbarungen oder auch durch Gestaltung neuer Betriebsvereinbarungen, zum Beispiel einer gesonderten BV zu mobiler Arbeit, sinnvoll sein.

Aus der Notwendigkeit einer Verständigung mit dem Betriebsrat und der Möglichkeit von Betriebsvereinbarungen, die normativ wirken und daher eine vertragliche Regelung teilweise ersetzen können, folgt für Arbeitgeber mit Betriebsrat, dass mit dem einzelnen Mitarbeiter unter Umständen nur noch eine sehr kurze individuelle Vertragsergänzung erforderlich ist (gegebenenfalls mit einem Formschreiben), während im Übrigen auf die betrieblichen Regelungen verwiesen wird.“

Sind die Beschäftigten bei Arbeit im Homeoffice eigentlich UNFALLVERSICHERT?

„Ja, das ist der Fall. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat auch für Betriebe ohne Betriebsrat der Gesetzgeber die Regeln zum gesetzlichen Unfallversicherungsschutz speziell für die mobile Arbeit oder das Homeoffice ergänzt und ausdrücklich klargestellt, dass der Versicherungsschutz in gleichem Umfang besteht wie bei Ausübung der Tätigkeit an der Unternehmensstätte.“

Was wünschen Sie sich vom GESETZGEBER im Hinblick auf New Work?

„Absolut vordringlich wäre es, die antiquierten Regeln des deutschen Arbeitszeitgesetzes zu ändern und mehr Flexibilität bei der Einteilung der Arbeitszeit zuzulassen. Die europäische Arbeitszeitrichtlinie verlangt keine Begrenzung der arbeitstäglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden, so wie es das deutsche Gesetz derzeit festlegt. Sie sieht vielmehr vor, dass innerhalb eines Sieben-Tages-Zeitraums durchschnittlich nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden sollen. Damit wäre nach den Vorgaben des europäischen Rechts zum Beispiel eine Regelung im deutschen Arbeitszeitgesetz möglich, die es einem Arbeitnehmer bei entsprechendem Zeitausgleich ermöglichen würde, an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten, während er an einem anderen Tag weniger arbeitet. Auf diese Weise wäre z. B. auch eine Vier-Tage-Woche im Homeoffice für einen Vollzeitbeschäftigten möglich. Diese Flexibilität verhindert das deutsche Arbeitszeitrecht derzeit. Auch im Hinblick auf die täglichen Ruhezeiten mit mindestens elf Stunden ununterbrochener Ruhe und die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit eröffnet das europäische Recht dem deutschen Gesetzgeber Möglichkeiten zur Flexibilisierung, die dieser bisher nicht nutzt. Andere Länder haben hier derzeit klare Wettbewerbsvorteile gegenüber Deutschland.“

 

Grafiken: stock.adobe.com – svetazi

Thema mit Zündstoff: Homeoffice und Arbeitszeiterfassung

Eine Festlegung durch den Gesetzgeber, wie die Arbeitszeit im Homeoffice zu dokumentieren ist, steht noch aus. Ein erster Entwurf einer gesetzlichen Regelung war für „voraussichtlich im ersten Quartal 2023“ angekündigt; derzeit scheint es, dass noch im Frühjahr dieses Jahres ein erster Entwurf erwartet wird. Wie lange dann der Gesetzgebungsprozess dauern wird, ist offen, da das Thema auch für Diskussionen in der Koalition sorgen könnte.

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Kira Hinderfeld
Kira Hinderfeld

Freie Wirtschafts-Journalistin für IHK Interaktiv und das Wirtschaftsmagazin Pfalz.

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