Spiegelbild der Epochen

von | 26.10.2020

Sie ist das größte kommunale Wohnungsbauunternehmen in Rheinland-Pfalz: die gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau, kurz GAG. Mit 12.800 Wohnungen prägt sie das Ludwigshafener Stadtbild. In diesem Jahr feiert sie ihr 100-jähriges Bestehen.

Die GAG versteht sich als Vorreiter für eine nachhaltige Stadt- und Quartiersentwicklung – unter anderem war sie zuletzt an der Entwicklung des Rheinufers Süd beteiligt. Gegründet wurde die GAG vor 100 Jahren jedoch als Reaktion auf die große Wohnungsnot in Ludwigshafen. Die Stadt hielt 66 Prozent der Anteile, die BASF, die als größter Arbeitgeber ein großes Interesse an ausreichendem Wohnraum hatte, 30 Prozent. Die restlichen vier Prozent teilten sich lokale Unternehmen, darunter die Pfalzwerke, BK Giulini, Saint-Gobain Isover G+H oder die Raschig GmbH. Aufsichtsratsvorsitzender der GAG ist immer der jeweilige Oberbürgermeister. Das Kerngeschäft der Aktiengesellschaft ist die Vermietung von Wohnraum und Gewerberäumen.

„Niedrigster Leerstand unserer Geschichte“

Der große Bedarf an Wohnungen in der Chemiestadt zieht sich wie ein roter Faden durch die Unternehmensgeschichte. Mit einer Ausnahme vor etwa 10-15 Jahren, wie GAG-Alleinvorstand Wolfgang van Vliet erläutert. „Damals zogen viele Menschen von der Stadt aufs Land.“ Eine Entwicklung, die auch die GAG merkte. Doch das hat sich längst geändert. „Wir verzeichnen jetzt wieder eine gestiegene Nachfrage in allen Preissegmenten“, sagt er. So liegt die Leerstandsquote der 12.800 GAG-Wohnungen bei 1,4 Prozent. „Wir haben aktuell den niedrigsten Leerstand in unserer Geschichte“, ordnet van Vliet diesen Wert ein. Er weiß, wie schwierig die Wohnungssuche derzeit gerade für Menschen mit geringem Einkommen sein kann, vor allem für Familien. „Wir sehen es als unsere Aufgabe an, für diese Menschen Wohnraum zu schaffen“, nennt er ein Unternehmensziel, das schon seit einem Jahrhundert Gültigkeit hat. Der geförderte Wohnungsbau wird auch in den kommenden Jahren Schwerpunkt der GAG-Tätigkeit sein. Rheinland-Pfalz habe eine sehr gute Wohnungsbauförderung, sagt van Vliet, und lobt die „hervorragende Zusammenarbeit“ mit dem Land. Ein Problem seien allerdings die wenigen freien Flächen in der Stadt.

„Eines steht fest: Trotz weniger werdenden Grundstücken werden wir weiter bauen“, blickt der GAG-Chef zuversichtlich in die Zukunft. Derzeit ist die GAG an verschiedenen Standorten in der Stadt aktiv. Da werden Siedlungen verdichtet oder Wohnanlagen neu gebaut, Wohnungen und Häuser saniert und energetisch ertüchtigt. Auch die Zahlen stimmen: „Das Unternehmen ist gut aufgestellt“, so van Vliet. Allein für Instandhaltung werden pro Jahr zwischen 15 und 19 Millionen Euro aufgewendet. Der Jahresüberschuss betrug 2,6 Millionen Euro im Jahr 2018. Rund 170 Mitarbeiter zählt die GAG im Jubiläumsjahr. Sie kümmern sich nicht nur um die Verwaltung und Vermietung der Wohnungen, sondern sind auch vor Ort in den Siedlungen als Ansprechpartner für die Mieter präsent.

Wohnraum in allen Preissegmenten

Bei der Gründung wurde der „ausschließliche Gesellschaftszweck“ mit der Bereitstellung von günstigem, gesundem und zweckmäßigem Wohnraum für die „minderbemittelte Bevölkerung“ in der Satzung festgeschrieben. Zwar bietet die GAG 100 Jahre später Wohnraum in allen Preissegmenten an, doch wird die Mehrzahl der Wohnungen noch immer günstig vermietet. Die Durchschnittsmiete beträgt 5,71 Euro pro Quadratmeter, bei 70 Prozent der Wohnungen liegt sie unter sechs Euro. Zum Vergleich: Deutschlandweit liegt die Nettokaltmiete bei einem Durchschnitt von etwa acht Euro für eine Bestandswohnung mittlerer Qualität.

Wolfgang van Vliet

Mit ihren Siedlungen und Wohnhäusern, die in allen Stadtteilen zu finden
sind, prägt die GAG das Ludwigshafener Stadtbild. In den ersten Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entstanden mit der Ebert-, der Westend- und der Christian-Weiß-Siedlung gleich drei Großsiedlungen. Nur zwölf Prozent der GAG-Häuser überstanden den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unbeschadet. Nach dem Krieg war das städtische Wohnungsbauunternehmen wiederum sehr gefragt, um den großen Bedarf an Wohnraum zu decken. Bis 1970 wurden mit der Valentin-Bauer-Siedlung in Ludwigshafen-West und der Ernst-Reuter-Siedlung in der Gartenstadt zwei weitere Großsiedlungen gebaut. Die Ernst-Reuter-Siedlung gilt als eines der größten Wohnbauprojekte der Nachkriegsgeschichte in der BRD. Mit der Pfingstweide entstand in Zusammenarbeit mit der Wohnungsbaugesellschaft der BASF sogar ein ganzer Stadtteil neu. Der Entwurf von Architekt Albert Speer junior galt seinerzeit als architektonisch und städtebaulich wegweisend, auch wenn Speer die Trabantenstadt später als Fehler betrachtete. 1970 verfügte die GAG über 11.000 Wohnungen. Alle Siedlungen und Wohngebäude der GAG sind Spiegelbilder ihrer Epoche und dokumentieren, wie sich Wohnen und die Ansprüche an die Wohnungen im Laufe eines Jahrhunderts verändert haben. Manche Siedlungen stehen mittlerweile unter Denkmalschutz, andere wurden abgerissen und neu gebaut, wie zum Beispiel die Christian-Weiß-Siedlung in Süd. In den neuen Häusern richtete die GAG eine Senioren-WG ein – und ist damit zukunftsweisend unterwegs. Wie schon so oft in ihrer Geschichte. „In der Ebert-Siedlung gab es eine eigene Hörfunkstation“, nennt van Vliet ein frühes Beispiel.

Vielfalt der Stile

Über den reinen Wohnungsbau hinaus ist die GAG auch in der Stadtplanung und -entwicklung aktiv. Mit der Rheinufer Süd Entwicklungs GmbH (RSE) war sie an der Entwicklung des neuen Quartiers südlich der Walzmühle beteiligt. „Wir haben als GAG nur eine Zeile auf dem ersten Baufeld bebaut, aber dafür gesorgt, dass bei der Vermarktung viele Bauträger zum Zuge kamen, so dass wir jetzt eine Vielfalt der Stile dort haben, nicht wie in anderen Städten ein großes einheitliches Gebiet“, erläutert der GAG-Vorstand. Mit der Bebauung des letzten Baufelds ist die Entwicklung beendet – seit dem 1. April ist aus der RSE die LCE (LuCityEntwicklungs- GmbH) geworden. Sie wird sich in Zukunft mit einem neuen wegweisenden Projekt befassen: dem City West entlang der Hochstraße Nord und der Innenstadt.

 

Fotos: GAG

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Anette  Konrad
Anette Konrad

Freie Wirtschafts-Journalistin für IHK Interaktiv und das Wirtschaftsmagazin Pfalz.

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